Seit wann ich Musiker bin?
Jedenfalls nicht, seit ich die Block- gegen eine
Querflöte getauscht habe. Weder seit ich
Jeux
d'eau
 halbwegs fehlerfrei über die Klaviertasten
bekam, noch nach einer dieser Blues-Nächte.
Nicht einmal beim Anruf der Musikhochschule:
Herzlichen Glückwunsch, Sie haben einen
Studienplatz!
Sondern seit dem Tag, als ich in der Musik eine
neue Sprache gefunden habe, eine neue
Möglichkeit zu erzählen.
Seit dem interessiert mich nur noch, ob mich
berührt, was jemand auf seinem Instrument oder
mit seiner Stimme erzählt, und nicht auf welche
Art sie oder er das tut. Und längst nicht mehr
dieses Unterscheidungs-Gequengel zwischen E
und U, zwischen Klassik und Pop, Jazz und
Wasauchimmer. Am liebsten sind mir seit je die
Grenzgänger, die mal auf dem, mal auf jenem
Gebiet spazieren. Und die so oft an diesem
seltsamen Ort zwischen den Stühlen landen und
von dort verwundert die Sitzenden betrachten,
deren Hintern nach so langer Sitzung breit
geworden sind und sich den Stuhlformen
angepasst haben, so dass man, selbst wenn sie sich
einmal erheben sollten, was selten genug
geschieht, an den Kurven, Ausbuchtungen und
Zeichnungen dieser alteingesessenen Hintern
erkennen kann, auf welchen Stuhl sie gehören.
Von dort lehren und richten die Stuhlbesetzer. Beurteilen die Welt und vergeben Noten, von deren
Richtigkeit und Notwendigkeit sie überzeugt sind. Zutiefst. 19komma3. 16komma7. Dieses ist ernste
Musik und diese braucht man nicht ernst zu nehmen. Sie sagen: Wir kennen den Unterschied. Sie sagen
nicht: Unsere Hintern passen auf keine anderen Stühle mehr.
Dies ist ein Plädoyer für ein Umherwandern zwischen den Stühlen. Für eine Musik, die eine lebende
Sprache ist, die dann erst wirklich gut ist, wenn sie beim Hörenden eine Saite zum Schwingen bringt. Und
wenn sie das nicht kann, eben nicht gut ist. Und ein Plädoyer für die freie Rede in der Musik, die
Improvisation, die wie das „richtige“ Leben ist, bei dem auch niemand sagen kann: Die letzten fünf
Minuten hätte ich gern noch mal.
Für ein Freudenfeuer aus all den Stühlen.